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Ein Baby zu pflegen ist - wir wissen es schon - mehr als waschen, wickeln, anziehen. Pflege eröffnet die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen. Aus Berührungen, Augenkontakt, Bewegungen und Worten kann ein Zusammenspiel entstehen, das zu Freude und Verbundenheit führt.

Und doch kann die Zeiten am Wickeltisch anstrengend sein. Je älter und beweglicher Babys nämlich werden, je vehementer sie ihren eigenen Willen äußern und ihre eigenen Pläne verfolgen, desto größer wird die Herausforderung. Was als liebevoller, freudiger Kontakt begonnen hat, kann schnell zu einer Auseinandersetzung werden, bei der wir Tricks und Kniffe anwenden, um das Kind „ruhig zu halten“, es abzulenken, um „schnell fertig zu werden“ und „das Ganze hinter sich zu bringen“. „Friedenserziehung“, hat die ungarische Kinderärztin Emmi Pikler einmal gesagt „beginnt auf dem Wickeltisch.“ Und doch werden Wickeltische so schnell zu Orten, an denen wir uns in Machtkämpfe verstricken.

Zeit von besonderer Qualität

Dabei könnten Zeiten der Pflege im Alltag zu einem entspannten, auch humorvollen Miteinander werden, wenn es gelänge, etwas weniger verbissen die Ziele von „waschen, wickeln, anziehen“ zu verfolgen. Der Wickeltisch könnte zu einem Ort der Begegnung werden und die dort verbrachte gemeinsame Zeit eine Qualität entwickeln, die die Kinder und Pflegende bereichert (getrennt geht es ja sowieso gar nicht!). Dazu gehört, dass wir uns Zeit nehmen, dass wir andere Aufgaben und Ablenkungen zurückstellen und uns immer wieder aufs Neue bewusst machen: die Art und Weise, wie wir ein Baby tragen, berühren, waschen und anziehen hat entscheidenden Einfluss auf die Beziehung, die es zu seinem Körper und zu der Welt, die diesen Körper umgibt, entwickelt. Und dabei können wir Erwachsene lernen, auf kleine Signale zu achten - denn auch schon ganz kleine Babys haben Vorlieben und Abneigungen wenn es darum geht, auf welche Weise sie berührt sein wollen. Emmi Pikler hat daher von „fragenden Händen“ in der Pflege gesprochen. Dieser Begriff beschreibt sehr schön die innere Haltung, mit der nicht nur unsere Hände, sondern unser ganzes Wesen am Wickeltisch dem Baby begegnen könnte: da ist der Wunsch, das Kind zu waschen und anzuziehen. Und zugleich ist da die offene, fragende Haltung, in der wir bereit sind, uns auf das kindliche Tempo, seine Bewegungen, seine Vorlieben, Abneigungen und seine Impulse einzulassen - die wir nur wahrnehmen werden, wenn wir wirklich im Kontakt mit einander sind.

Jeder Kontakt ist anders

Für Pflegende kann aus der Zeit am Wickeltisch ein Raum wachsen, in dem Atem und Bewegungen ruhig und fließend werden, in dem sie sich nur auf das Kind und seine Bewegungen konzentrieren, in dem sie selbst zur Ruhe kommen und, im Kontakt mit dem Kind zugleich in Kontakt mit sich selbst kommen. Dabei wird recht schnell spürbar, dass Pflege nur zum Teil mit jenen Handgriffen beschrieben werden kann, die in Säuglingspflegekursen gelehrt werden. Die große Kunst ist es doch, sich immer wieder neu darauf einzulassen, dass jedes Wickeln, jedes Baden, jeder Kontakt mit dem Baby von Tag zu Tag immer wieder anders sind. An manchen Tagen sind Babys gut gelaunt, mögen es, berührt zu werden, sind zu Quatsch und Neckereien aufgelegt. An anderen Tagen sind sie müde, tragen einen Schmerz mit sich herum oder haben, wenn sie größer werden, einfach eigene Vorstellung von dem, was als nächstes zu tun ist. An manchen Tagen lieben sie eine sanfte Berührung, an anderen wollen sie nur wenig angefasst werden.

Und so wie den Kindern, ergeht es ja auch uns: an manchen Tagen sind wir heiter und gelassen, an anderen müde, erschöpft, wütend oder gelangweilt. Diese Gefühle mit zusammengebissenen Zähnen zu verbergen, würde das Kind vor uns in Verwirrung stürzen, weil es ja intuitiv spürt, was hinter der Fassade wirklich geschieht. Es ist daher eine wichtige Aufgabe für Eltern und ErzieherInnen, sich auch ihrer eigenen Stimmungen und Gedanken immer wieder neu anzunehmen, diese wahrzunehmen und sich zugleich bewusst zu machen, dass sie vorüberziehen und sich wandeln. Ebenso wie Erwachsene für die Pflege der Kinder Zeit und Raum einrichten, brauchen sie unbedingt Raum und Zeit für sich selbst - nicht um sich abzulenken, sondern um sich selbst mitfühlend und freundlich begegnen. Die "fragenden Haltung" ist Vorraussetzung dafür, sich selbst wieder „frisch zu machen“ für die Möglichkeiten der Freude und der Verbundenheit, die jeder neue Augenblick bereit hält.

Julia Grösch ist Achtsamkeitslehrerin, Redakteurin unserer Zeitschrift und freie Autorin. Mehr über Julia und ihr Angebot erfahrt ihr auf ihrer Website: www.achtsamkeit-da.de

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