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Was gehört zu einem guten Anfang

Zuhause mit einem Neugeborenen ankommen

Die ersten Tage, Wochen und Monate sind meistens sehr turbulent. Gefühle der Erleichterung und Freude gemischt mit Zweifeln, Ängsten, Unsicherheiten, Verzweiflung, Müdigkeit und immer wieder Müdigkeit. Die Erschöpfung bewirkt, dass alle Eltern sich fragen: „Mache ich es richtig? Warum ist mein Baby so unruhig? Warum kann ich es nicht beruhigen, was mache ich falsch?“ Ich würde junge Eltern wirklich gerne beruhigen, besonders Mütter, und ihnen sagen, dass fast alle jungen Eltern diese Gefühle kennen.

Nie zuvor hat sich Ihr Leben so einschneidend verändert. Dieser geliebte Eindringling hat Ihre Prioritäten, Ihren Tagesablauf und Ihren Rhythmus durcheinander gebracht; Sie können nicht länger essen, wenn Sie hungrig sind, oder schlafen, wenn Sie erschöpft sind.

Ein Grund, weshalb es so schwer ist, ein neugeborenes Kind zu haben, liegt darin, dass es sich so wichtig anfühlt. Alle junge Eltern bringen ihre eigenen Erfahrungen, ihre Rollenvorstellungen und Erwartungen an sich selbst in diese neue Rolle mit. Es macht Eltern verletzlich, wenn sie „perfekt sein“ wollen; und wenn die Dinge nicht ideal laufen, dann kann es passieren, dass sie ärgerlich auf sich selbst und das Baby werden. Und auf den Ärger folgen dann oft Schuldgefühle und Hilflosigkeit.

Es ist eine stressreiche Zeit. Eltern gehen sehr unterschiedlich damit um. Manche Mütter verleugnen die Wichtigkeit der Situation; sie tun so, als hätte sich nichts geändert und als könnten sie drei Tage nach der Entbindung eine Party geben. Andere Mütter können nicht akzeptieren, dass die Entbindung die erste Trennung ist; sie müssen ihr Baby physisch festhalten. Wieder andere Eltern haben Mühe damit, dem Baby in ihrem Leben Raum zu geben. Und wieder andere glauben, dass es dem Baby schadet, wenn sie nicht sofort zu ihm hineilen, wenn es weint.

Was ich gerne sagen würde, ist Folgendes: Sie machen die Bekanntschaft mit einem menschlichen Wesen, das ihr ganzes Leben lang für sie zu den wichtigsten Menschen gehören wird. Nehmen Sie sich dafür Zeit. Je offener und interessierter Sie an der Einzigartigkeit dieses neuen Wesens sind, umso leichter wird der Prozess der gegenseitigen Anpassung werden. Sehen Sie diese Periode mit einem Neugeborenen als eine Zeit, in der Sie sich gegenseitig kennen lernen, und als eine Gelegenheit wie nie zuvor, etwas über sich selbst zu erfahren.

Für sich selbst sorgen

Was gehört zu einem guten Anfang? Daß Sie sich selbst kennen, akzeptieren und mögen. Das wird Ihnen dabei helfen, Ihre eigene Verletzlichkeit zu erkennen und zu akzeptieren. Wenn Sie zum Beispiel wissen, dass Sie gereizt werden, wenn Sie hungrig sind, dann essen Sie etwas. Das Schwierigste, wenn man gerade ein Baby bekommen hat, ist, dass man sich nicht genug ausruhen kann. Sie können sich selbst viel mehr Zeit zum Ausruhen verschaffen, wenn Sie nicht erwarten, dass Sie irgendetwas anderes tun müssen als gut für sich und für das Baby zu sorgen.

Wenn Sie ein Neugeborenes haben, besonders wenn es Ihr erstes Kind ist, dann holen Sie sich Hilfe. Ihre eigene Mutter oder Schwiegermutter ist selten der richtige Mensch. (Sie kann es sein, wenn Sie sich in ihrer Nähe wirklich wohl fühlen und sie Sie nicht kritisiert.) Eine gute Freundin oder eine Haushaltshilfe, zu der man Vertrauen hat, kann die beste Lösung sein. In manchen Gesellschaften ist es ganz selbstverständlich, dass jede junge Mutter solch eine Hilfe bekommt. Ihre Helferin sollte alle im Haushalt anfallenden Aufgaben erledigen, Sie verwöhnen, aber das Baby nur versorgen, wenn Sie selbst zu müde sind. Geben Sie alle Pflichten ab und erlauben Sie sich wie Ihrem kleinen Baby zeitlose Zeiten. Ruhen Sie so viel wie möglich. Versuchen Sie es so einzurichten, dass Sie jemanden verfügbar haben, damit Sie freie Zeit für sich selbst haben können!

Urlaub auf einer Insel ohne Uhren

Mit einem kleinen Kind zu leben bedeutet, in einer anderen Zeitzone und oft in einem zunächst ungewohnten emotionalen Klima zu leben. Nie zuvor mussten sie mit so wenig Schlaf, ständiger Müdigkeit, der Last immer Dienst zu haben und einer Reihe nagender Zweifel an Ihrer Kompetenz als Eltern zurechtkommen. Diese ersten Monate können Sie nicht proben. Soviel ist neu – das Baby, die Situation, die Reaktion des anderen Elternteils und vor allem Ihre eigenen Gefühle.

Manche Mütter und Väter bekommen Angst, wenn sie merken, wie die Zeit stillsteht und zugleich wie im Fluge vergeht, wie die Außenwelt verblasst und durch Lachen und Weinen des Babys ersetzt wird.

Liebe junge Eltern, haben Sie keine Angst. Geben Sie dem Rhythmus einer neuen biologischen Uhr nach. Sie werden nicht für immer dieser Verzerrung der Zeit unterworfen sein. Sie werden noch früh genug zu der fordernden und bedrängenden Hektik des „normalen“ Lebens zurückkehren. Stellen Sie sich vor, dass Sie eine Zeit lang auf einer Insel ohne Uhren Urlaub machen, auf der es keine anderen Pflichten gibt, als auf den Rhythmus und die Bedürfnisse Ihrer selbst und Ihres Babys einzugehen. Mütter und Väter, öffnen Sie sich dieser neuen Erfahrung. Erlauben Sie sich, als neue Eltern da zu sein, und erlauben Sie Ihrem Baby, sich als ein neuer Mensch zu entfalten. Versuchen Sie nicht, es zu formen, sondern eher seine Einzigartigkeit, sein Tempo und seine Art anzunehmen.

Für Ihr Baby sorgen

Was für Neugeborene und Eltern ansteht, ist, sich gegenseitig kennen zu lernen und langsam einen Dialog zu entwickeln. Es ist hilfreich, wenn Sie wirklich mit Ihrem Baby sprechen. Welche Zeichen gibt ein neugeborenes Baby? Sehr wahrscheinlich weint es, zeigt Unwohlsein oder es schläft.

Was Eltern von ihren Babys erwarten und wie ihre Babys sich in Wirklichkeit verhalten, unterscheidet sich oft sehr voneinander. Sie haben vielleicht ein dickes, lächelndes Baby erwartet – stattdessen schauen Sie Ihr neugeborenes Baby an und sehen einen deformierten Kopf, ein bläuliches, runzliges Gesicht und einen mageren, haarigen Körper. Sie haben vielleicht erwartet, dass Sie wissen, was Ihr Baby braucht – stattdessen schreit es und schreit, es beunruhigt Sie und Sie wissen nicht, was es braucht oder was Sie tun sollen. (Sie fühlen sich vielleicht nicht ganz so fremd, wenn Sie eine Kinderstation in Krankenhäusern besucht und viele Neugeborene gesehen haben oder wenn Sie Eltern mit sehr kleinen Kindern zugeschaut und erfahren haben, dass alle Babys hin und wieder schreien.) Wie einfach eine Umgebung auch ist, ein Baby kann von zu viel Stimulierung überwältigt werden. Alles ist neu und nichts funktioniert schon leicht. Sie können Ihrem Neugeborenen bei der Anpassung an all das Neue helfen, indem Sie die Umgebung weniger laut und weniger hell gestalten, um Ihrem Kind zu erlauben, Schritt für Schritt anzukommen, statt mit zu vielen Eindrücken bombardiert zu werden. Schaffen Sie einen ruhigen Raum, lassen Sie das Neugeborene an einem gemütlichen Platz wie zum Beispiel in einer kleinen Wiege und erfüllen Sie langsam und sanft seine Bedürfnisse nach Nahrung, frischen Windeln und körperlicher Nähe.

Es wird Zeit brauchen, es muss Zeit brauchen – eine Menge Zeit –, einander verstehen zu lernen. Mit der Zeit weinen kleine Kinder weniger und die Eltern fühlen sich immer sicherer.

Ein ruhiger Anfang

Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit helfen Babys ihre inneren Schlaf-, Wach- und Ess-Rhythmen zu entwickeln. Es ist am besten, wenn Babys ihre ersten sechs bis acht Wochen ungestört zu Hause in ihrer eigenen Umgebung verbringen können und wenn Eltern sich Zeit ohne zusätzliche Aktivitäten nehmen können. Wenn irgend möglich, würde ich nicht versuchen, die Rhythmen des Babys zu unterbrechen, indem ich es bei Besorgungen mitnehme.

Erlauben Sie dem Kind, zuerst seinen biologischen Rhythmus zu finden und führen Sie es dann langsam in das Leben der Familie ein. Dann werden Sie und Ihr Baby schließlich einen ruhigen und zuverlässigen Lebensrhythmus entwickeln.

Die Art und Weise, wie Sie das Leben mit einem Neugeborenen beginnen, prägt ein Muster, eine Art Blaupause für zukünftige Beziehungen. Und glauben Sie mir, obwohl es vielleicht zu schwierig erscheint, eine Zeit lang zu Hause zu bleiben und all die Aktivitäten der „Selbstverwirklichung“ in der Welt draußen aufzuschieben wird es eine gut investierte Zeit sein, während der Sie das tägliche Wunder des Werdens eines neuen Menschen, Ihres eigenen Kindes kennen lernen.

Als betroffene Mutter lernte Magda Gerber die Arbeit von Emmi Pikler kennen und war davon so angetan, dass sie die Assistentin von Emmi Pikler wurde. In den 50er Jahren wanderte sie nach Amerika aus und gründete gemeinsam mit einem Kinderarzt die Organisation Resources for Infant Educarers (RIE). Die Einrichtung mit Sitz in Los Angeles bietet Mutter-Kind-Gruppen nach den Erkenntnisse von Emmi Pikler an.

Bildnachweis: © Foto Rieth/pixabay.com